Take That: Die Herzensbrecher aus Manchester

Take That: Die Herzensbrecher aus Manchester
Take That: Die Herzensbrecher aus Manchester
 
Anfang des Jahres 1992 traten fünf Jungs im Alter von 18 bis 22 unter dem Bandnamen Take That einen Siegesfeldzug an, auf dem sie im Sturm die Hitparaden und die Herzen der — hauptsächlich weiblichen — Teenager eroberten. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere stand die Boygroup, was Hysterie der Fans und die millionenfach verkauften Platten anging, den Beatles oder Rolling Stones in nichts nach. Obgleich der Erfolg der Gruppe, wie man rückblickend annehmen mag, nicht über Nacht kam — es gingen zwei harte Jahre voraus, in denen die Band keinen Fuß in die Tür des Showbusiness setzen konnte —, galten Take That später als Vorreiter und Speerspitze der europäischen Boygroups, die es ihren Nachfolgern möglich machte, mehr oder weniger über Nacht berühmt zu werden. Mithilfe des cleveren Marketingkonzepts ihres Managers Nigel Martin-Smith, der Gary, Robbie, Mark, Howard und Jason 1989 in Manchester zusammengebracht hatte, einer perfekt inszenierten Bühnenshow und dem breit gestreuten musikalischen Mix aus Dancefloor, Soul und Mainstreampop gelang es dem Quintett, ab Anfang des Jahres 1993 in nahezu direkter Folge sieben Singles an der Spitze der englischen Charts zu platzieren, ebenso zahlreich verkauften sich ihre Alben, Videos und Konzerttickets. Im Verlauf der erfolgreichen Jahre änderte sich das Image der Bandmitglieder von sauberen, glatt polierten Teenie-Jungs über eine kurzfristige Periode der Bad-Boy-Attitüde zu jungen Erwachsenen in Anzügen, die sich auch musikalisch entwickeln konnten. Diesen Umstand verdankte die Band u. a. ihrem »Kopf und Hauptautor« Gary Barlow, der sich in zunehmendem Maße um ernsthafteres Songwriting bemühte: Vor allem das letzte Album erhielt auch vonseiten der seriösen Presse Lob und Anerkennung. Erste Turbulenzen trübten den Horizont schließlich im Sommer 1995, als Robbie Williams die Band verließ, um eine Solokarriere in Angriff zu nehmen. Die restlichen Mitglieder machten sich weiterhin erfolgreich zu einer Welttournee auf, doch bereits Anfang 1996 zeichnete sich die vollständige Auflösung der Gruppe ab, die am 13. Februar 1996 offiziell stattfand.
 
 Eine Boygroup formiert sich
 
Die erfolgreiche Karriere der fünf Teenager Gary Barlow (Gesang, Klavier; * 20. Januar 1971), Robert Peter Williams (Gesang; * 13. Februar 1974), Mark Anthony Patrick Owen (Gesang; * 24. Januar 1974), Howard Paul Donald (Gesang; * 24. April 1970) und Jason Thomas Orange (Gitarre, Gesang; * 10. Juli 1970) begann 1989 in Manchester, wo sie von Nigel Martin-Smith, einem Model- und Musikmanager, nach einem Casting zusammengebracht wurden und sich unter dem Namen Take That formierten. Größtenteils ohne Schulabschluss mit ein wenig Erfahrung im Musikgeschäft, plante ihr Manager mit Take That eine europäische Boygroup nach dem Vorbild der in den USA extrem erfolgreichen New Kids On The Block zu lancieren. So sehr der musikalische Aspekt vorerst im Hintergrund stand, so wichtig waren ihm die optischen Qualitäten und tänzerischen Talente seiner fünf Jungen. Jedes Mitglied repräsentierte einen unterschiedlichen Typ, so bildete Gary den etwas schüchternen kreativen Kopf im Hintergrund, Robbie verdingte sich als Clown der Truppe, Mark war das Nesthäkchen, Donald der coole, ernsthaftere Junge, und Jason übernahm den normalen, unscheinbareren Part — eine überdies wirksame Konzeption, um eine breite Fangemeinde anzusprechen. Das alters- und kleidungsmäßige, außerdem körperbetonte Erscheinungsbild der Band sprach somit in erster Linie weibliche Teenager, in zweiter Instanz aber ebenso die käuferstarke Schicht der Homosexuellen an. Die Anfangszeit gestaltete sich allerdings reichlich zäh, die Hitparaden waren von Techno- und Dancestücken beherrscht und Boygroups bis dahin noch nicht etabliert. Im Juli 1991 brachte Take That die erste Single »Do what u like«, ein von Barlow kokomponiertes Stück, auf einem Independent-Label auf den Markt. Herausragend zeigte sich allerdings nur das recht freizügig anmutende dazugehörige Video. Eine Klubtour durch Gay-Diskotheken und Schulen schaffte die Basis einer ersten Fangemeinde, doch weder dies noch zahlreiche Fernsehauftritte sorgten für den nötigen Durchbruch auf dem Musikmarkt. Hilfreich wurde in dieser Angelegenheit schließlich der Vertrag mit einer großen Plattenfirma, RCA. Die dort zum Jahresende erscheinende zweite (und auch dritte) Single blieb erfolglos; somit verstärkte man vorerst die Promotion und brachte schließlich Anfang 1992 die vierte Single »It only takes a minute« heraus. Das Stück, ein schneller Song aus der Feder der Four-Tops-Produzenten, machte den ersten Vorstoß in die vorderen Ränge der Hitparaden. Die fünfte Single, eine Dancenummer, kam in die Top Twenty. Es folgte eine halbjährige Tour, man stärkte sich den Rücken mit Livegigs und Arbeit im Studio, feilte an der Choreographie der Tanzeinlagen und perfektionierte die Bühnenshow.
 
 Der Erfolg stellt sich ein
 
Im September 1992 wurde eine erste, für Take That bald charakteristische Ballade, »A million love songs«, veröffentlicht, die es in die Top Ten schaffte und mit dieser hohen Position die Initialzündung für weitere Hits bildete. Die nächste Single, »Could it be magic«, eine Coverversion des Barry-Manilow-Songs, erreichte ebenso wie der Nachfolger »Why can't I wake up with you« im Winter 1992 Platz drei. Dazwischen erschien im Spätsommer das Debütalbum der Band: »Take That and party«. Es kletterte auf Platz zwei der Albumcharts und verkaufte sich bis Ende 1995 weltweit 1,5 Millionen Mal. Das Album zeichnet sich durch ausladende Bläser- und Streicherarrangements aus, enthält leichte Techno- und Dancefloor-Elemente und bildet so eine kommerziell viel versprechende Mischung mit den souligen, einschmeichelnden Gesangspartien, bei denen sich Barlow hier als Hauptsongwriter und Leadsänger an Vorbildern wie George Michael und Elton John orientiert. Darüber hinaus wurden der Band im Mai desselben Jahres höhere Weihen zuteil: Prinzessin Margaret lud das Quintett zur »Children's royal variety performance« ein, einer Veranstaltung, die von der BBC live im britischen Fernsehen übertragen wurde. Die Liveauftritte der Gruppe waren inzwischen perfekt inszenierte Vorstellungen mit feuerwerkähnlichen Lightshows und wilden, akkurat choreographierten Tanzeinlagen, die — nicht nur aufgrund der mehrfach entblößten Hinterteile der Bandmitglieder — massenweise zu Ohnmachtsanfällen unter den Fans führten. Anfang 1993 erschien mit »Pray« eine weitere Ballade und ein weiterer Nummer-Eins-Hit. Die Single wurde in den Radiosendern massiv beworben und gespielt, und die fünf — nunmehr zwanzigjährigen — »Teenager« unterstützten die Promotion durch Besuche in den Redaktionen der marktführenden Teenie-Magazine, so wurde darüber hinaus auch die internationale Karriere vorangetrieben. Anschließend veröffentlichten Take That mit Gastsängerin Lulu, einer britischen Sängerin, ein Remake des Disco-Evergreens »Relight my fire« von Dan Hartman und verbuchten damit im September 1993 einen weiteren Platz eins in der britischen Hitparade. Bei der nächsten Neuerscheinung »Babe«, einer von Gary Barlow verfassten Ballade, übernahm nun Mark Owen das Mikrofon als Leadsänger, und die Band platzierte den dritten Hit an der Spitzenposition in Folge. Für das Titelstück des zweiten Albums »Everything changes« übergab Mark Owen die Leadvocals an Robbie Williams. Die Fans honorierten den Wechsel am Mikrofon mit dem ersten Platz der Hitparade. Im Gegensatz zu dieser sehr poppigen Nummer erreichte die nächste Auskopplung »Love ain't here anymore«, wiederum eine sentimentale Ballade, Anfang 1994 »nur« Platz drei der UK-Charts.
 
 Der Erfolg reißt nicht ab
 
Im Sommer 1994 stand für die Band eine umfangreiche Europatournee auf dem Plan, man schickte sich nun an, auch den Kontinent zu erobern. Ganz im Zeichen des Titels ihrer neuen CD präsentierten sich die fünf Jungs noch vor dem Start von einer völlig neuen Seite: Der saubere, glatte Teenie-Look wurde zugunsten von Rastalocken, Ziegenbärtchen, Irokesenschnitt und Piercings aufgegeben. Ihrer Beliebtheit bei den Fans tat dieser Imagewandel allerdings keinen Abbruch, Take That spielte vor größtenteils ausverkauften Hallen. Das männliche Selbstbewusstsein der Band manifestiert sich auch in der Single »Sure«, die diese Tatsache wiederum bestärkt, indem sie prompt auf Platz eins landete. Der Verkauf von über drei Millionen CDs des Albums »Everything changes« stand nicht alleine auf der Erfolgsliste der Gruppe, auch ihre Videos gehörten zu den Bestsellern des Jahres. Schließlich reagierten Ende 1994 auch die Medien und überschütteten die Boygroup mit Preisen: Bei den »MTV European Music Awards« siegten sie in der Kategorie »Beste Gruppe«, weiterhin gab es zwei »BRIT-Awards«, die »Goldene Kamera« und den »Bravo-Otto« in Deutschland, und schließlich erhielt Gary Barlow den renommierten »Ivor Novello Award« als Songschreiber des Jahres. Im Dezember 1994 wurde ihnen beim Benefizkonzert »Concert of hope« der britischen Aids Trust Organisation Lob von Prinzessin Diana zuteil. Vor dem Start einer Welttournee erschien im Mai 1995 das dritte Album »Nobody else«, auf dem neun Songs aus der Feder von Gary Barlow stammen. Es enthält wie gewohnt die üblichen Schmuseballaden im Wechsel mit tanzbaren, schnelleren Nummern, doch es zeigt auch den Entwicklungsprozess, den die Bandmitglieder durchlaufen hatten. Es galt in der Presse als ihr »erwachsenes Album« und verkaufte sich über drei Millionen Mal. »Back for good«, die erste Singleauskopplung des Albums, schnellte natürlich unverzüglich auf Platz eins im Vereinigten Königreich und rangierte gleichzeitig erstmalig auch in den USA unter den ersten zehn Hits in den Billboard-Charts. Mitten in dieser Erfolgssträhne zogen jedoch dunkle Wolken am Horizont der Band auf: Im Sommer 1995 ließ Robbie Williams verlauten, er werde aus der Gruppe aussteigen, weil er sich in der Band unglücklich und unterdrückt fühlte, wogegen das Management und Gary Barlow behaupteten, er sei wegen Unzuverlässigkeit entlassen worden.
 
 Ende der Band, Anfang der Solisten
 
Nichtsdestotrotz starteten die restlichen vier Mitglieder im August zu einer Welttournee. Schon bald wurden Gerüchte laut, die Band werde sich vollständig auflösen. Unter anderem wurde gemunkelt, ein Grund dafür sei, dass sich in den USA der Erfolg nicht recht einstellen wolle. Die ersten Anzeichen, die Veröffentlichung einer weiteren Coverversion, also keinem Stück aus Barlows Feder, traten zutage. »How deep is your love«, ein Klassiker der Bee Gees, war die letzte Produktion von Take That und platzierte sich ungewohnterweise nicht an der Spitze der Hitparaden. Die Band absolvierte schließlich noch die letzten Auftritte, zu denen sie vertraglich verpflichtet war, und verkündet am 13. Februar 1996 offiziell das Aus. Die Fanhysterie, die schon bei Williams» Ausstieg kaum mehr zu zügeln war, nahm noch drastischere Ausmaße an: In ganz Europa mussten Telefonhotlines eingerichtet werden, um die weinenden, mit Suizid drohenden Fans zu beruhigen. Als Abschiedsgeschenk an die Fans wurde zum Trost eine »Greatest hits«-CD nachgeschoben. Dennoch war nicht alles verloren. Drei der Mitglieder brachten schon bald ihre Solowerke auf den Markt. Die Debütsingles von Gary Barlow, »Forever love«, und Robbie Williams, »Freedom«, erschienen im Juli 1996 sogar gleichzeitig. Mark Owen konterte mit dem Album »Green man«. Gary Barlow veröffentlichte sein erstes Soloalbum unter dem Titel »Open road«, Robbie Williams' Debüt nannte sich »Life thru a lens«, beide kamen 1997 heraus. Am erfolgreichsten zeigt sich jedoch Williams, der 1998 ein weiteres Album nachschob: »I've been expecting you«.
 
 
Take That and party (1992)
 
Everything changes (1993)
 
Nobody else (1995)
 
Greatest hits (1996)
 
Mark Owen: Green man (1996)
 
Gary Barlow: Open road (1997)
 
Robbie Williams: Life thru a lens (1997)
 
Robbie Williams: I've been expecting you (1998)
 
 
Rob McRibbon: Take That. Die Geschichte einer Supergruppe. Aus dem Englischen. München 1994.
 Piers Morgan: Take That - unsere Story. Aus dem Englischen. Köln 61995.

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Нужно решить контрольную?

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”